Der so genannte „Mozart-Effekt“ wird als Mythos betrachtet, da die Forschung keinen konsistenten Zusammenhang zwischen dem Hören klassischer Musik und der Verbesserung des logischen Denkens nachweisen konnte. Die Verbesserung des logischen Denkens von Kindern wird durch verschiedenste Faktoren teilweise beeinflusst. Dazu zählen zum Beispiel eine sichere und anregende Lernumgebung oder kognitive Herausforderungen und Möglichkeiten. Der Mythos „Mozart-Effekt“ geht auf eine Studie von Rauscher & Hinton zurück, die jedoch nie repliziert wurde. Für diesen Effekt gibt es somit keine solide empirische Grundlage.
Črnčec et al (2006). The cognitive and academic benefits of music to children: Facts and fiction. Educational Psychology, 26(4), 579-594. >> Mehr
Rauscher, F. H., & Hinton, S. C. (2006). The Mozart effect: Music listening is not music instruction. Educational psychologist, 41(4), 233-238. >> Mehr
Pietschnig et al (2010). Mozart effect–Shmozart effect: A meta-analysis. Intelligence, 38(3), 314-323. >> Mehr
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Legasthenie ist eine entwicklungsbezogene Lernschwäche, die durch Schwierigkeiten beim Lesen gekennzeichnet ist. Legasthenie wird auch Dyslexie oder Lese-Rechtschreibstörung genannt. Die Ursachen der Legasthenie sind noch nicht vollständig geklärt und die Diagnose ist komplex, gerade weil eine Vielzahl verschiedener Symptome vorkommen können. Es gibt kein einzelnes Anzeichen, welches für jede Person mit Dyslexie zutrifft. Personen mit einer Legasthenie-Diagnose haben häufig Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben oder der Rechtschreibung. Studien haben zudem gezeigt, dass die Schwierigkeit, geschriebene Wörter zu entschlüsseln, häufig mit der fehlerhaften Zuordnung von Buchstaben und Lauten zusammenhängt (der so genannten phonologischen Verarbeitung). Obwohl es vorkommt, dass Kinder mit Legasthenie beim Lesen Buchstaben vertauschen, kommt dies nicht häufiger vor als bei anderen Kindern auch. Legasthenie ist somit eine komplexe Diagnose, für welche eine Vielzahl von Faktoren berücksichtig werden müssen.
Siegel (2006). Perspectives on dyslexia. Paediatrics & child health, 11(9), 581-587. >> Mehr
Treiman et al (2014). Statistical learning, letter reversals, and reading. Scientific Studies of Reading, 18(6), 383-394. >> Mehr
Wagner (2018). Why is it so difficult to diagnose dyslexia and how can we do it better. The Examiner, 7(5). >> Mehr
Die Nützlichkeit von Lernstil-Modellen ist einer der am weitesten verbreiteten Mythen im Bildungswesen. Trotz wiederholter Studien gibt es bislang keinen Nachweis dafür, dass Menschen besser lernen, wenn sie Informationen in ihrem bevorzugten Lernstil erhalten. In mehreren Untersuchungen wurde kein Zusammenhang zwischen lernstilorientiertem Unterricht und dem Lernen nachgewiesen. Dies gilt sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene. Das Orientieren an Lernstilmodellen kann für den Lernerfolg sogar hinderlich sein, da so nicht alle Möglichkeiten des Lernens ausgeschöpft werden. Die Verbreitung dieses Mythos’ kann somit eine einseitige Lernweise zur Folge haben.
Newton (2015). The learning styles myth is thriving in higher education. Frontiers in psychology, 6, 168518. >> Mehr
Newton & Miah (2017). Evidence-based higher education–is the learning styles ‘myth’important?. Frontiers in psychology, 8, 241866. >> Mehr
Pashler et al (2009). Learning styles: concepts and evidence. Psychol. Sci. Public Interest 9, 105–119. >> Mehr
Das menschliche Gehirn ist das Resultat zahlreicher biologischer und umweltbedingter Einflüsse. Dieses Zusammenspiel beeinflusst somit auch unser Verhalten, unsere Wahrnehmungen und geistigen Fähigkeiten. Während Gene massgeblich bestimmen, wann und wie sich bestimmte Gehirnregionen entwickeln, beeinflussen Erfahrungen und Umwelt, wie funktionstüchtig Regionen werden und wie gut sie mit anderen Regionen zusammenarbeiten. Geistige Fähigkeiten sind letztendlich beeinflusst von Genen, Umwelt und der Interaktion zwischen beiden.
Hensch, T. K. (2005). Critical period plasticity in local cortical circuits. Nature Reviews Neuroscience, 6(11), 877–888.
Mills, K., & Tamnes, C. K. (2020). Longitudinal structural and functional brain development in childhood and adolescence. In K. Cohen Kadosh (Ed.), The Oxford Handbook of Developmental Cognitive Neuroscience (1st ed.). Oxford University Press.
Nelson, C. A., & Gabard-Durnam, L. J. (2020). Early adversity and critical periods: neurodevelopmental consequences of violating the expectable environment. Trends in neurosciences, 43(3), 133-143.
Im Durchschnitt haben Männer in allen Altersgruppen, von der Geburt bis zum Erwachsenenalter, grössere Gehirne als Frauen. Dies ist auf Unterschiede in der Gesamtkörpergrösse zurückzuführen, denn grössere Körper besitzen grössere Gehirne. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Grösse allein wenig über Leistung oder Qualität aussagt. Grosse Gehirne funktionieren anders als kleine Gehirne. Kleinere Gehirnhälften haben zum Beispiel stärkere Verbindungen zwischen den beiden Hemisphären, während grössere Gehirnhälften stärkere Verbindungen innerhalb der Hemisphären haben. Diese Unterschiede im Gehirnvolumen führen aber nicht zu Unterschieden in Verhalten oder Kognition. Studien zeigen, dass sich Frauen und Männer in Bezug auf ihre allgemeine Intelligenz nicht unterscheiden.
Eliot et al (2021). Dump the “dimorphism”: Comprehensive synthesis of human brain studies reveals few male-female differences beyond size. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 125, 667-697. >> Mehr
Barnes et al (2018) Biopsychologie, Pearson Studium
Grabowska (2017). Sex on the brain: Are gender‐dependent structural and functional differences associated with behavior?. Journal of neuroscience research, 95(1-2), 200-212. >> Mehr
Es gibt keine sinnvolle Kategorisierung von Menschen in Personen, welche beim Lernen die linke oder rechte Gehirnhälfte stärker nutzen. Die meisten Verhalten und Fähigkeiten sind mit Aktivitätsveränderung über das gesamte Gehirn hinweg in Verbindung zu bringen. Diese Aktivierung findet demnach meist in beiden Gehirnhälften statt, insbesondere beim Ausführen kognitiver Aufgaben. Das veraltete Konzept der „Lokalisierung“ von Gehirnfunktionen stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde bereits vor längerem verworfen. Heute verweist man vermehrt auf das Vorhandensein komplexer neuronaler Netzwerke, welche über das gesamte Gehirn reichen.
Dass Verhaltensweisen nicht alleinig auf die Aktivität einer Hemisphäre zurückzuführen sind, zeigt das Beispiel der Sprache. Obwohl die linke Hemisphäre bei der Sprachverarbeitung dominiert, ist auch die rechte Hemisphäre für Aspekte der Sprachverarbeitung zuständig. Die linke Hemisphäre ist Sprach-dominant, da die Aktivität in der rechten Hemisphäre je nach Verhalten unterdrückt wird. Dies ist nur möglich, weil beide Hemisphären zusammenarbeiten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede Aufgabe die Funktion und Koordination beider Hemisphären erfordert. Daher können Menschen in Bezug auf ihr Gehirn nicht als “links- oder rechtsseitige” Lernende kategorisiert werden.
Goswami (2004). Neuroscience, education and special education. British Journal of Special Education, 31(4), 175-183. >> Mehr
Corballis (2014) Left Brain, Right Brain: Facts and Fantasies. PLoS Biol 12(1): e1001767. >> Mehr
Alle Regionen unseres Gehirns sind immer aktiv. Verhalten und spezifische Fähigkeiten können mit der Aktivität in bestimmten Teilen des Gehirns in Verbindung gebracht werden. Dies bedeutet, dass diese Gebiete im Vergleich zu anderen noch „aktiver“ werden, um das Verhalten zu ermöglichen. Selbst wenn wir schlafen oder nichts tun, ist unser Gehirn aktiv. Es kann nie «ausgeschaltet» werden. Diese „Aktivität“ bezieht sich auf die Energie, die das Gehirn verbraucht, um die Kommunikation zwischen den Nervenzellen zu unterstützen. Tatsächlich kann sogar unter Vollnarkose Gehirnaktivität beobachtet werden. Die Behauptung, dass der Mensch nur einen bestimmten Prozentsatz seines Gehirns nutzt, ist ein Mythos. Er entstand in einem Jahrhundert, in dem man erst sehr wenig über das menschliche Gehirn wusste.
Raichle & Snyder (2007). A default mode of brain function: a brief history of an evolving idea. Neuroimage, 37(4), 1083-1090. >> Mehr
Vincent et al (2007). Intrinsic functional architecture in the anaesthetized monkey brain. Nature, 447(7140), 83-86. >> Mehr
Lilienfeld et al (2011). 50 great myths of popular psychology: Shattering widespread misconceptions about human behavior. John Wiley & Sons.
Die Entstehung und das Absterben von Gehirnzellen (genannt Neuronen) ist ein normaler und notwendiger Teil der Gehirnentwicklung. Während der frühen Gehirnentwicklung entstehen Nervenzellen und es werden viele neue Verbindungen zwischen diesen geknüpft (über Synapsen). Dadurch entsteht ein Netzwerk von Verbindungen zwischen Zellen, welches im Erwachsenenalter benötigt wird. Die Überproduktion der Nervenzellen wird durch den programmierten Zelltod (genannt Apoptose) ausgeglichen. Ausserdem werden Verbindungen, die nicht genutzt werden, wieder eliminiert. Diese Synapseneliminierung («Pruning») findet über die Jugend hinaus bis ins junge Erwachsenenalter statt.
Früher ging man davon aus, dass das Gehirn einer erwachsenen Person keine neuen Nervenzellen mehr bildet. Heute wissen wir jedoch, dass noch lange Zeit neue Nervenzellen gebildet werden. In einem Teil des Gehirns, dem Hippocampus, werden bei erwachsenen Menschen zum Beispiel jeden Tag noch weiterhin 700 neue Nervenzellen gebildet, wobei ein gewisser Rückgang dieser Produktion im Laufe des Alterns zu verzeichnen ist. Gehirnzellen entstehen und sterben im Laufe der gesamten Lebensspanne.
Lagercrantz (2016). Infant brain development. Berlin, Germany: Springer.
Tierney & Nelson III (2009). Brain development and the role of experience in the early years. Zero to three, 30(2), 9. PMID: 23894221
Spalding et al (2013). Dynamics of hippocampal neurogenesis in adult humans. Cell, 153(6), 1219-1227. >> Mehr
Kinder können durchaus mehrere Sprachen gleichzeitig lernen. Kleinkinder können verschiedenste Sprachen unterscheiden, dies gar, bevor sie selber zu sprechen beginnen. Beim frühen zweisprachigen Spracherwerb scheinen Kinder einen ähnlichen Entwicklungsverlauf zu haben wie gleichaltrige Kinder mit einsprachigem Erwerb. Je früher ein Kind mit einer Sprache in Kontakt kommt, desto mehr Möglichkeiten hat es, diese Sprache zu erleben und zu verwenden. Der frühe Zweitspracherwerb kann Vorteile haben, es müssen aber individuelle Faktoren berücksichtigt werden. Je häufiger Kinder mit einer bestimmten Sprache in Berührung kommen, desto grösser ist in der Regel ihr Wortschatz und desto besser beherrschen sie diese Sprache.
Petitto et al (2001). Bilingual signed and spoken language acquisition from birth: Implications for the mechanisms underlying early bilingual language acquisition. Journal of child language, 28(2), 453-496. >> Mehr
Höhle et al (2020). Variability and stability in early language acquisition: Comparing monolingual and bilingual infants' speech perception and word recognition. Bilingualism: Language and Cognition, 23(1), 56-71. >> Mehr
Der männliche und der weibliche Körper, einschliesslich des Gehirns, entwickeln sich unterschiedlich schnell. Frauen kommen früher in die Pubertät und erreichen früher die Erwachsenengrösse, was parallel zur Entwicklung des Gehirns verläuft. Frauen erreichen ihr maximales Gehirnvolumen etwa 2 Jahre früher als Männer (im Durchschnitt mit 10,5 Jahren gegenüber 12,5 Jahren bei Männern). Insgesamt entwickeln sich die Gehirne von Jungen und Mädchen aufgrund anatomischer, funktioneller und biochemischer Unterschiede unterschiedlich. Obwohl diese Unterschiede für das Verständnis der bekannten geschlechtsspezifischen Prävalenz und der Erscheinungsformen verschiedener Psychopathologien wichtig sind, gibt es im Durchschnitt mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen den Gehirnen von Jungen und Mädchen. Entscheidend ist, dass diese Unterschiede nicht die jeweiligen Fähigkeiten widerspiegeln.
Eliot et al (2021). Dump the “dimorphism”: Comprehensive synthesis of human brain studies reveals few male-female differences beyond size. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 125, 667-697. >> Mehr
Lenroot et al (2007). Sexual dimorphism of brain developmental trajectories during childhood and adolescence. Neuroimage, 36(4), 1065-1073. >> Mehr
Zaidi (2010). Gender differences in human brain: a review. The open anatomy journal, 2(1). >> Mehr
Lenroot & Giedd (2010). Sex differences in the adolescent brain. Brain and cognition, 72(1), 46-55. >> Mehr
Wenn wir etwas Neues lernen, bilden sich zwischen den beteiligten Gehirnzellen Verbindungen über so genannte Synapsen. Gehirnzellen, die gemeinsam aktiviert werden, bilden mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Verbindung. Diese neuen Verbindungen, beziehungsweise diese Veränderungen im Gehirn, werden mit Lernen assoziiert. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass das Üben von Musik die Aktivität von Gehirnzellen in sensorischen und motorischen Regionen erhöht. Musizieren führt somit zu mehr Verbindungen zwischen diesen Gehirnzellen und damit zu einer stärkeren Vernetzung zwischen sensorischen und motorischen Gehirnregionen.
Fauvel et al (2014). Morphological brain plasticity induced by musical expertise is accompanied by modulation of functional connectivity at rest. Neuroimage, 90, 179-188. >> Mehr
Lernen erfolgt durch die Bildung neuer Verbindungen zwischen bereits vorhandenen Gehirnzellen, nicht durch das Hinzufügen neuer Gehirnzellen. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass das Üben von Mathematik mit anatomischen Veränderungen in Hirnregionen einhergeht, die an der Verarbeitung von Zahlen und visuell-räumlichen Fähigkeiten beteiligt sind. Diese Veränderungen sind bei Personen, die sich gut mit Mathematik auskennen, sogar noch ausgeprägter. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass das Musizieren die Aktivität von Gehirnzellen in sensorischen und motorischen Regionen erhöht. Musizieren führt demnach zu mehr Verbindungen zwischen diesen Gehirnzellen und damit zu einer stärkeren Vernetzung zwischen sensorischen und motorischen Gehirnregionen.
Aydin et al (2007). Increased gray matter density in the parietal cortex of mathematicians: a voxel-based morphometry study. American Journal of Neuroradiology, 28(10), 1859-1864. >> Mehr
Zamarian et al (2009). Neuroscience of learning arithmetic—Evidence from brain imaging studies. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 33(6), 909-925. >> Mehr
Fauvel et al (2014). Morphological brain plasticity induced by musical expertise is accompanied by modulation of functional connectivity at rest. Neuroimage, 90, 179-188. >> Mehr
Aufgrund der lebenslangen Plastizität des Gehirns kann jede Art von Fähigkeit während des gesamten Lebens erlernt werden. Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich durch Lernen und Erfahrungen zu verändern und anzupassen. Dies ist immer und gar nach Unfällen, die zu Veränderungen im Gehirn führen, möglich.
Sensitive Zeitfenster beschreiben Perioden in unserer Entwicklung, während derer der Mensch (und das Gehirn) ganz besonders lernfähig ist. In dieser Zeit haben gewisse Erfahrungen und Lernen einen grossen Einfluss. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass zu jeder Zeit neue Fähigkeiten erlernt werden können. Selbst das Erlernen von Sprachen kann während der gesamten Lebensspanne erfolgen, auch wenn man früher an ein ausschliesslich frühes Zeitfenster glaubte. Andere Faktoren wie z. B. die Art der Sprachexposition können die Sprachleistung und das Erlernen von Sprache zu unterschiedlichen Zeitpunkten beeinflussen. Sensitive Zeitfenster während der Gehirnentwicklung beschreiben also Phasen, in denen wir für einen bestimmten Input am empfänglichsten sind. Lernen ist ein lebenslanger Prozess. Während wir in jungen Jahren oft müheloser lernen, kann es später mehr Anstrengung erfordern, vergleichbare Ziele zu erreichen. Dennoch bleibt Lernen immer möglich.
Kühn & Lindenberger. (2016). Research on human plasticity in adulthood: A lifespan agenda. In Handbook of the psychology of aging (pp. 105-123). Academic Press. >> Mehr
Takesian & Hensch (2013). Balancing plasticity/stability across brain development. Progress in brain research, 207, 3-34. >> Mehr
Flege (2019). A non-critical period for second-language learning. In A Sound Approach to Language Matters—In Honor of Ocke-Schwen Bohn. Edited by Anne Mette Nyvad, Michaela Hejná, Anders Højen, Anna Bothe Jespersen and Mette Hjortshøj Sørensen. Aarhus: Aarhus University, pp. 501–41.
Nelson & Gabard-Durnam (2020). Early adversity and critical periods: neurodevelopmental consequences of violating the expectable environment. Trends in neurosciences, 43(3), 133-143. >> Mehr
Man geht davon aus, dass Lernen durch die Entwicklung und Festigung von Verbindungen zwischen Gehirnzellen erfolgt. Während wir uns entwickeln, wachsen und lernen, werden neue Verbindungen zwischen Gehirnzellen geknüpft und überflüssige Verbindungen abgebaut. Verbindungen, die häufig genutzt werden, werden gefestigt.
Neue Verbindungen zwischen Gehirnzellen entstehen über so genannte Synapsen. Diese erlauben den Kontakt einer Zelle zur anderen. Gehirnzellen, die gemeinsam aktiv werden, bilden mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Verbindung. Diese neuen Verbindungen – oder Veränderungen – im Gehirn werden mit Lernen assoziiert. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass Musizieren die Aktivität von Gehirnzellen in sensorischen und motorischen Regionen erhöht. Musizieren führt somit zu mehr Synapsen zwischen diesen Gehirnzellen und damit zu einer stärkeren Vernetzung zwischen sensorischen und motorischen Gehirnregionen.
Holtmaat & Caroni (2016). Functional and structural underpinnings of neuronal assembly formation in learning. Nature neuroscience, 19(12), 1553-1562. >> Mehr
Fauvel et al (2014). Morphological brain plasticity induced by musical expertise is accompanied by modulation of functional connectivity at rest. Neuroimage, 90, 179-188. >> Mehr
Die Abspeicherung und der Abruf von Informationen im menschlichen Gehirn erfordern das Zusammenwirken verschiedener Gehirnregionen und Netzwerken. Es ist noch immer unklar, wie Informationen im Gehirn gespeichert werden. Es wird davon ausgegangen, dass unser Gedächtnis das Ergebnis von Veränderungen in den Verbindungen zwischen den Gehirnzellen ist, die zusammen ein „Gedächtnisnetzwerk“ aus miteinander verbundenen Gehirnzellen bilden. Gehirnstrukturen wie der Hippocampus spielen eine Schlüsselrolle bei Gedächtnisprozessen und sind Teil eines grösseren Netzwerks, das verschiedene Strukturen umfasst. Generell sind Fähigkeiten und Verhaltensweisen des Menschen mit der Aktivität und der Funktionalität komplexer Gehirnnetzwerke verknüpft, bestehend aus verschiedenen auf die entsprechende Funktion jeweils spezialisierte Gehirnregionen.
Battaglia et al (2011). The hippocampus: hub of brain network communication for memory. Trends in cognitive sciences, 15(7), 310-318. >> Mehr
Abraham et al (2019). Is plasticity of synapses the mechanism of long-term memory storage?. NPJ science of learning, 4(1), 9. >> Mehr
Psychische Erkrankungen sind gesundheitliche belastende Zustände, die die Gefühle, Gedanken oder das Verhalten einer Person betreffen und das tägliche Leben beeinträchtigen. Es gibt viele verschiedene psychiatrische Diagnosen. Gemeinsam ist allen psychischen Erkrankungen, dass spezifische Veränderungen in der Struktur, Funktion oder Chemie des Gehirns berichtet werden. Es gibt zwar einige Gehirnerkrankungen, die nicht als psychische Erkrankungen bezeichnet werden, aber die Grenzen sind fliessend. Alle psychischen Erkrankungen gehen nachweislich mit biologischen Veränderungen einher (z.B., nachweisliche Veränderungen in Gehirnfunktion, -struktur oder Konnektivität, genetische Beteiligung oder anderen biologischen Faktoren).
Wo Sie Hilfe finden
Psychische Gesundheitsprobleme können sich unterschiedlich äussern. Wenn Sie oder eine Person in Ihrem Umfeld von psychischen Problemen betroffen sind, empfehlen wir Ihnen, sich an einen Arzt/eine Ärztin oder eine*n Spezialist*in zu wenden. Für Unterstützung in akuten Fällen in der Schweiz:
Ärztetelefon: 0800 33 66 55
Krisenintervention Zürich: 044 296 73 10
Notfallabteilungen aller Universitätsspitäler der Schweiz („Notfall“)
Suizidgedanken - Hotline: 144
Telefonseelsorge: Chat oder E-Mail bei jeglichen Problemen: 143
Weiterführende Literatur
Study, B. S. C., & National Institutes of Health. (2007). Information about Mental Illness and the Brain. In NIH Curriculum Supplement Series [Internet]. National Institutes of Health (US).
Unser Gehirn verändert sich ständig als Reaktion auf Umweltanforderungen, Erfahrungen und Lernen. Lernen ist mit der Synapsenbildung assoziiert, dem Entstehen von Verbindungen zwischen Nervenzellen. Studien zeigen, dass intensives Training zu Veränderungen sowohl der weissen als auch der grauen Substanz führen kann. Eine Studie über das Erlernen von Fremdsprachen zeigte beispielsweise eine Zunahme des Volumens der grauen Substanz im Hippocampus und im Gyrus Temporalis Superior. Diese Veränderungen korrelierten auch positiv mit den Fähigkeiten nach dem Training. Andere Studien übers Klavierspielen oder das Training des Arbeitsgedächtnisses zeigen ebenfalls Veränderungen der jeweiligen Gehirnstrukturen nach dem Training. Auch Präventions- und Förderprogramme können die Form und Struktur des Gehirns beeinflussen. So zeigte eine Studie, dass bei Kindern mit Legasthenie, die ein intensives Lesetraining absolvierten, das Volumen der grauen Substanz im vorderen Gyrus Fusiformis, im Hippocampus, im Precuneus und im Cerebellum (Kleinhirn) zunahm, also in Bereichen, die bei Leseschwäche häufig verändert sind.
Hötting & Röder (2013). Beneficial effects of physical exercise on neuroplasticity and cognition. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 37(9), 2243-2257. >> Mehr
Zatorre et al (2012). Plasticity in gray and white: neuroimaging changes in brain structure during learning. Nature neuroscience, 15(4), 528-536. >> Mehr
Mårtensson et al (2012). Growth of language-related brain areas after foreign language learning. NeuroImage, 63(1), 240-244. >> Mehr
Steele et al 2013). Early musical training and white-matter plasticity in the corpus callosum: evidence for a sensitive period. Journal of Neuroscience, 33(3), 1282-1290. >> Mehr
Buschkuehl et al (2012). Neuronal effects following working memory training. Developmental cognitive neuroscience, 2, S167-S179. >> Mehr
Krafnick et al (2011). Gray matter volume changes following reading intervention in dyslexic children. Neuroimage, 57(3), 733-741. >> Mehr
Das menschliche Gehirn ist in zwei Gehirnhälften oder Hemisphären unterteilt: die rechte und die linke. Beide Hemisphären sind wichtig für unser Verhalten und unsere Wahrnehmung. Während linke und rechte Hemisphäre jeweils die Bewegung und das Gefühl in der gegenüberliegenden Körperhälfte steuern, arbeiten beide Hemisphären immer auch zusammen. Das Corpus Callosum bildet die Verbindung zwischen den Hemisphären. Es ist eine Art Brücke, die aus etwa 200 Millionen Nervenfasern besteht.
Die meisten Tätigkeiten sind mit einer Aktivierung im gesamten Gehirn und somit einer Aktivierung in beiden Gehirnhälften verbunden, v.a. komplexere kognitive Aufgaben. Das veraltete Konzept der „Lokalisierung“ von Gehirnfunktionen stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde bereits vor längerem verworfen. Heute verweist man vermehrt auf das Vorhandensein komplexer neuronaler Netzwerke, welche über das gesamte Gehirn reichen.
van der Knaap & van der Ham (2011). How does the corpus callosum mediate interhemispheric transfer? A review. Behavioural brain research, 223(1), 211-221. >> Mehr
Goswami (2004). Neuroscience, education and special education. British Journal of Special Education, 31(4), 175-183. >> Mehr
Corballis (2014) Left Brain, Right Brain: Facts and Fantasies. PLoS Biol 12(1): e1001767. >> Mehr
Das Nervensystem ist durch Neuroplastizität gekennzeichnet. Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern oder anzupassen aufgrund von Lernen oder Erfahrung. In diesem speziellen Beispiel ist die Erfahrung einschneidend, nämlich dann, wenn z.B. nach einem Unfall ein Teil einer Gehirnregion komplett ausfällt. Die Forschung zeigt, dass nach einer strukturellen Schädigung des Gehirns andere Areale durch intensives Üben und Rehabilitation die entsprechenden Verhaltensweisen teilweise kompensieren können. Es hat sich gezeigt, dass Veränderungen bestimmter Gehirnregionen oder funktioneller Bahnen durch andere Gehirnregionen oder neue Bahnen kompensiert werden können, sodass das Gehirn relativ normal weiterarbeiten kann. Wann, wie und in welchem Umfang Schäden kompensiert werden können, hängt jedoch stark von der Art der Schädigung, den individuellen Umständen und spezifischen Situationen ab.
Cramer et al (2011). Harnessing neuroplasticity for clinical applications. Brain, 134(6), 1591-1609. >> Mehr
Turolla et al (2018). Rehabilitation induced neural plasticity after acquired brain injury. Neural plasticity, 2018. >> Mehr
Herbet et al (2016). Mapping neuroplastic potential in brain-damaged patients. Brain, 139(3), 829-844. >> Mehr
Die Entwicklung des Gehirns ist ein langwieriger Prozess, der seinen Höhepunkt erst im späten Jugend- bis jungen Erwachsenenalter erreicht. Im Alter von 22-25 Jahren ist das Gehirn ungefähr ausgewachsen. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns hört dementsprechend nicht auf, wenn Kinder die Pubertät erreichen. Das Gehirnvolumen ist dem eines Erwachsenen dann zwar ähnlich, aber es gibt immer noch grosse Veränderungen, welche sich im Innern des Gehirns abspielen. Dazu gehören das Entstehen und die Eliminierung von Zellverbindungen (Synapseneliminierung, auch «Pruning» genannt) und die Entwicklung von komplexeren Gehirnnetzwerken. Forschungsergebnisse deuten zum Beispiel darauf hin, dass die Gehirnentwicklung bis zum jungen Erwachsenenalter die Stärkung und Integration der präfrontal-limbischen Regulationsfunktionen umfasst.
Mills & Tamnes (2020). Longitudinal structural and functional brain development in childhood and adolescence. >> Mehr
Hochberg & Konner (2020). Emerging adulthood, a pre-adult life-history stage. Frontiers in endocrinology, 10, 918. >> Mehr
Die Forschung zeigt, dass Lernprobleme, welche entwicklungsbedingt Unterschiede in der Gehirnfunktion zeigen, durch Training verbessert werden können. Bei Legasthenie zum Beispiel verbessern phonologische Therapieprogramme für Schüler*innen die phonologischen Fähigkeiten und können atypische Hirnaktivierungsmuster in Zusammenhang mit der phonologischen Verarbeitung teilweise beheben.
Shaywitz et al (2004). Development of left occipitotemporal systems for skilled reading in children after a phonologically-based intervention. Biological psychiatry, 55(9), 926-933. >> Mehr
Simos et al (2002). Dyslexia-specific brain activation profile becomes normal following successful remedial training. Neurology, 58(8), 1203-1213. >> Mehr
Personen nutzen verschiedene Modalitäten (visuell, auditiv, kinästhetisch, etc.) beim Einüben von neuen Informationen unterschiedlich gerne. Allerdings kann eine Überfokussierung auf die bevorzugte Lernart Nachteile für die Informationsaufnahme und Informationsgeneralisierung mit sich bringen. Menschen können über verschiedenste Arten lernen, und je mehr verschiedene Formen des Lernens genutzt werden, desto besser die Lernmöglichkeit. Diese Chance bleibt ungenutzt, wenn Personen sich nur auf ihre bevorzugte Modalität beschränken. Es ist jedoch wichtig, daran zu denken, dass das Lernen mit dem bevorzugten Lernstil nicht unbedingt zu einer besseren Leistung (oder einem besseren Lernerfolg) führt. Es kann jedoch dazu führen, dass das Lernen an sich für die Person angenehmer ist.
Die Nützlichkeit von «Lernstil»-Modellen ist einer der am weitesten verbreiteten Mythen im Bildungswesen. Trotz wiederholter Studien gibt es bis keinen Nachweis dafür, dass Menschen besser lernen, wenn sie Informationen in ihrem bevorzugten Lernstil erhalten. In mehreren Untersuchungen wurde kein Zusammenhang zwischen lernstilorientiertem Unterricht und dem Lernen nachgewiesen. Dies gilt sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene. Das Orientieren an Lernstil-Modellen kann für den Lernerfolg sogar hinderlich sein, da so nicht alle Möglichkeiten des Lernens ausgeschöpft werden. Die Verbreitung dieses Mythos kann somit eine einseitige Lernweise zur Folge haben.
Gilakjani, A. P. (2012). Visual, auditory, kinaesthetic learning styles and their impacts on English language teaching. Journal of studies in education, 2(1), 104-113. >> Mehr
Lee, B., & Kim, H. (2014). What Can We Learn from Our Learners’ Learning Styles?. English Language Teaching, 7(9), 118-131. >> Mehr
Newton (2015). The learning styles myth is thriving in higher education. Frontiers in psychology, 6, 168518. >> Mehr
Newton & Miah (2017). Evidence-based higher education–is the learning styles ‘myth’ important?. Frontiers in psychology, 8, 241866. >> Mehr
Pashler et al (2009). Learning styles: concepts and evidence. Psychol. Sci. Public Interest 9, 105–119. >> Mehr
Rogowsky et al (2020). Providing instruction based on students’ learning style preferences does not improve learning. Frontiers in Psychology, 11, 511773. >> Mehr
Vaughan (2017). Tackling the ‘learning styles’ myth. >> Mehr
Das menschliche Gehirn wird als „plastisch“ bezeichnet, weil es sich ein Leben lang als Reaktion auf Erfahrungen und Lernen verändern und anpassen kann. Der Begriff Neuroplastizität stammt vom griechischen Wort „plastos“, was „geformt“ bedeutet und sich darauf bezieht, dass das Gehirn in der Lage ist, sich selbst neu zu organisieren, indem es als Reaktion auf Lernen, Erfahrungen oder Verletzungen neue neuronale Verbindungen bildet. Lernen können wir unser gesamtes Leben lang, und so entstehen auch laufend neue Verbindungen. Es wurde zum Beispiel in einer Studie festgestellt, dass das Volumen der grauen Substanz im linken präzentralen Gyrus bei älteren Menschen, die 18 Monate lang an einem Tanztrainingsprogramm teilnahmen, im Vergleich zu Kontrollpersonen deutlich zunahm.
Power & Schlaggar (2017). Neural plasticity across the lifespan. Wiley Interdisciplinary Reviews: Developmental Biology, 6(1), e216. >> Mehr
Demarin et al (2014). Neuroplasticidade. Blog Dor Crônica, 30.
Müller et al (2017). Evolution of neuroplasticity in response to physical activity in old age: the case for dancing. Frontiers in aging neuroscience, 9, 56. >> Mehr
Wir nutzen unser Gehirn 24 Stunden am Tag. Das bedeutet, dass das Gehirn nie aufhört zu funktionieren. Genauer gesagt, nutzen wir alle Teile unseres Gehirns zu jeder Zeit. Einige Funktionen sind jedoch auf bestimmte Teile des Gehirns beschränkt, die während der Ausführung dieser Funktion im Vergleich zu anderen “aktiver“ sein können. Studien zeigen, dass unser Gehirn auch im Schlaf aktiv bleibt. Während des Schlafs ist unser Gehirn an der Konsolidierung und Rekonsolidierung des Gedächtnisses, an Wahrnehmungs- und motorischem Lernen sowie an verschiedenen Formen der Einbettung komplexer Fähigkeiten beteiligt. Auch bei Aufgaben, die mit Entspannung verbunden sind, wie z. B. Meditation, sind bestimmte Gehirnregionen, die für die Aufmerksamkeit zuständig sind, verstärkt aktiv.
Walker et al. (2003). Dissociable stages of human memory consolidation and reconsolidation. Nature, 425(6958), 616-620. >> Mehr
Walker et al (2002). Practice with sleep makes perfect: sleep-dependent motor skill learning. Neuron, 35(1), 205-211. >> Mehr
Baron Short et al (2010). Regional brain activation during meditation shows time and practice effects: an exploratory FMRI study. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, 7, 121-127. >> Mehr
Die Prävalenz psychischer Störungen (z. B. Angstzustände, Depressionen und Substanzabhängigkeit) ist weitaus höher, als die Gesellschaft bisher angenommen hat. Die Dunedin-Längsschnittstudie, bei der tausend Neuseeländer*innen von der Geburt bis ins frühe Erwachsenenalter beobachtet wurden, hat gezeigt, dass die meisten Menschen mindestens einmal im Leben von einer psychischen Erkrankung betroffen sind. Eine landesweite Studie aus Dänemark, an der 1,5 Millionen Menschen teilnahmen, ergab, dass bei der Mehrheit der Menschen im Laufe ihres Lebens entweder eine psychische Störung diagnostiziert oder psychotrope Medikamente verschrieben wurden.
Psychische Gesundheitsprobleme können sich unterschiedlich äussern. Wenn Sie oder eine Person in Ihrem Umfeld von psychischen Problemen betroffen sind, empfehlen wir Ihnen, sich an einen Arzt/eine Ärztin oder eine*n Spezialist*in zu wenden. Für Unterstützung in akuten Fällen in der Schweiz:
Ärztetelefon: 0800 33 66 55
Krisenintervention Zürich: 044 296 73 10
Notfallabteilungen aller Universitätsspitäler der Schweiz („Notfall“)
Suizidgedanken - Hotline: 144
Telefonseelsorge: Chat oder E-Mail bei jeglichen Problemen: 143
Weiterführende Literatur
Poulton, R., Moffitt, T. E., & Silva, P. A. (2015). The Dunedin Multidisciplinary Health and Development Study: overview of the first 40 years, with an eye to the future. Social psychiatry and psychiatric epidemiology, 50, 679-693.
Kessing, L. V., Ziersen, S. C., Caspi, A., Moffitt, T. E., & Andersen, P. K. (2023). Lifetime incidence of treated mental health disorders and psychotropic drug prescriptions and associated socioeconomic functioning. JAMA psychiatry, 80(10), 1000-1008.